kk-gruppe berlin

Referent: Theo Wentzke (Redaktion GegenStandpunkt)

Vortrag und Diskussion

Die Politik antwortet auf Fridays for Future: Herablassung, Vereinnahmung, Abfuhr

(An die Fridays for Future-Bewegung)

1.

Dass die Zustimmung, die euch in der deutschen Öffentlichkeit und aus der Politik entgegenschlägt, nichts wert ist, werdet ihr selber schon gemerkt haben. Ihr werdet beachtet – und eingemeindet. Von Leuten und Instanzen, die in einem ganz anderen als einem theoretischen Sinn „etwas zu sagen haben“; die nämlich mit dem, was sie sagen, teils mehr, teils weniger Macht ausüben – und mit dem Gebrauch ihrer Macht für genau die Zustände sorgen, gegen die ihr protestiert. Eingemeindet in eine öffentliche Debatte, deren Irrelevanz für den praktischen Gang der Dinge ihr zur Genüge erfahrt.

Es ist nicht bloß die hohe Kunst der Heuchelei, mit der ihr da – mal wieder – Bekanntschaft schließen dürft. Bemerkens- und bedenkenswert an den vielen heuchlerischen Grußadressen an euren Protest sind die Titel, die Gesichtspunkte, die großen Werte, unter denen ihr mit euren Demonstrationen gut gefunden werdet. So großartige Leerformeln wie „die Zukunft“, „unser Planet“, „kein Planet B“, „die Natur“, „die Menschheit“ etc. pp. sind nicht bloß dafür gut, sie sind auch einzig und allein dazu da, über alle wirklichen Interessen und Interessengegensätze hinweg eine ganz tiefe und eigentliche Einigkeit vorzuspiegeln: einen übergreifenden, irgendwie verbindlichen gemeinsamen guten Willen. Der wird euch bescheinigt, wenn man solchen Parolen wie „…weil ihr uns die Zukunft klaut!“ applaudiert. Und damit wird euch unter der Hand ein ganz mieses Tauschgeschäft angetragen: Großzügig wird anerkannt, dass ihr es doch gut meint – gut eben im Sinne eines höheren, unbezweifelbaren Werts –; dafür beanspruchen die, an und gegen die euer Protest sich richtet, ganz bescheiden die gleiche Anerkennung, nach dem Motto: „So gut wie ihr meinen wir es auch/schon lange/sowieso…!“ (Und sie könnten sogar anschließen: Wo habt ihr eure Parolen denn her – wenn nicht von uns: „Zukunft“, „Menschheit“ und der ganze Rest!)

Das kann man also aus dem positiven Echo auf euren Protest lernen: Die Ideale einer intakten Welt, für die ihr euch starkmacht, sind nichts wert, weil sie sich über die wirklichen Machtinteressen und die damit verbundenen Gemeinheiten vornehm erheben und eine Gemeinsamkeit im Guten beschwören, die es nicht gibt – und die eben so hoch und vornehm und erhaben ist, dass sie von allen Seiten, aus entgegengesetzten Positionen und von den feindlichsten Parteien beschworen werden kann. Und auch beschworen wird; denn darin liegt der Wert der höheren Werte.

Das gilt entsprechend für das andere Kompliment, das ihr euch einhandelt: Ihr wärt die besorgte Jugend – politisch engagiert und viel besser als ihr Ruf: diese primitive Art der Vereinnahmung braucht man euch wohl nicht erst zu erklären! – und hättet mit der Forderung nach einer besseren Zukunft schon deswegen Recht, weil ihr noch viel mehr davon vor euch habt als die Alten, denen „der Klimawandel“ nichts ausmacht, weil sie mit einem Bein schon im Grab stehen. Man gibt euch Recht, nicht weil ihr ein wichtiges Anliegen habt, das eure Sympathisanten und überhaupt die allermeisten Menschen aus begründetem Eigeninteresse zusammen mit euch durchkämpfen sollten, sondern weil man euch als besondere Gruppe mit einem eigenen Anspruch auf Würdigung und Respekt anerkennt. Als „Schüler und Studenten“, als „die Jugend“, womöglich als „Nachwuchs der Nation“ lässt man euch, wohlwollend, protestieren: als speziellen gesellschaftlichen Stand, dem man – so wie allen anderen – spezielle Interessen konzediert. Auch das ist eine perfekte Abstraktion von der Sache, für die ihr euch – nehmen wir an – starkmachen wollt.

2.

Von welchen wirklich herrschenden Interessen und real existierenden Machtverhältnissen auf die Art abgesehen wird – sei es im Namen großer fiktiver Gemeinschaftsanliegen, sei es um eurer respektablen Identität als „die Jugend“ willen –, das könnt ihr dem negativen Echo entnehmen, das euch und eurem Protest ja auch nicht zu knapp entgegenschallt. Natürlich strotzt das von reaktionärer Dummheit; aber wenn es bloß das wäre! Wenn die Dame von der AfD euren Protest für unbeachtlich erklärt, weil ihr noch nie eine Stromrechnung bezahlen musstet, oder wenn der junge Mann an der CDU-Spitze, gemeinsam mit den sozialdemokratischen Oberlehrern der Nation, euch ermahnt, erst einmal fleißig zu lernen, bevor ihr „auf die Straße“ geht, dann könnt ihr merken, wie leicht der Ehrentitel „Jugend“ – „Wir als Nachwuchs des Landes verdienen Gehör!“ – sich umdrehen lässt: Der ehrenwerte Stand, als der man beachtet werden will, ist zugleich nur ein Stand unter vielen, hat seine Grenzen und außerdem seine vergleichsweise schwachen Seiten, kann also bestenfalls als eine Stimme unter vielen zählen und verdient allenfalls eine sehr bedingte Anerkennung. Wenn ihr dann zu hören kriegt, dass es doch „auch“ auf die Arbeitsplätze in der Kohle- und Autoindustrie ankommt, die durch konsequenteren Klimaschutz in Gefahr gerieten, und auf die Konkurrenz mit anderen – natürlich noch viel schmutzigeren – Ländern, in der die eigene Nation ohne rücksichtslose Industriepolitik ins Hintertreffen gerät, dann ist das eine weitere sehr aufschlussreiche Lektion. Nicht in dem Sinn, dass man vor solchen Hinweisen strammstehen und die eigenen Interessen – und die Argumente, wenn man welche hat – gleich relativieren müsste. Zur Kenntnis nehmen sollte man stattdessen, mit welchen machtvollen Interessen und mit welchen Machtverhältnissen man sich tatsächlich schon dann anlegt, wenn man es mit Einwänden gegen die fortschreitende Ruinierung ganz vieler natürlicher Lebensbedingungen auch nur ein bisschen ernster meint als die Prediger im Feuilleton. Dann bekommt man es nämlich nicht mit einer Unterlassung zu tun: mit einem mangelnden guten Willen der politisch und ökonomisch Verantwortlichen. Die machen selber deutlich, und zwar mit ihrem „Nein!“ zu eurem Protest wie mit ihrem „Ja, aber“, dass die Welt, für die sie „die Verantwortung tragen“, über die sie also die Regie führen, etwas ganz anderes ist als ein Stück missbrauchte oder vernachlässigte Natur. Nämlich ein globaler Markt, auf dem es in mehrfachem Sinn ums Geld geht, eingerichtet und aufrechterhalten durch Staaten, die mit ihrer Gewalt – in Konkurrenz gegeneinander, deswegen manche mit überhaupt nicht umwelt- und klimafreundlichen Atomwaffen – für die dazu passende Ordnung Sorge tragen. Mit all den sachdienlichen Hinweisen aus berufenem Munde wird euch doch erklärt, welchen Stellenwert menschliche Interessen, und zwar jeglicher Art, in diesem System haben.

3.

Ob ihr mit eurem Protest überhaupt an dieses System rühren wollt, darauf passt die zuständige öffentliche Gewalt, da könnt ihr sicher sein, sorgfältig auf. Einstweilen müsst ihr noch keine schlimmere Zurechtweisung erleben als den Rückverweis in den Freitagsunterricht. Die nächste Eskalationsstufe lauert da aber schon, wird zum Teil auch schon angekündigt – und von einigen von euch offenbar auch schon defensiv vorweggenommen: Wenn es mit dem Protestieren nicht aufhört, sondern, Gott bewahre, schlimmer wird, dann setzt es die Gewaltfrage. Das schöne freiheitliche Recht gibt genügend Gesichtspunkte her, um Proteste, die auch nur entfernt auf Durchsetzung eines Anliegens zielen, ganz praktisch, nämlich mit hoheitlich monopolisierter Gewalt darauf aufmerksam zu machen, dass die Durchsetzung, welcher Anliegen auch immer, ohne Wenn und Aber der öffentlichen Gewalt zu überlassen ist. Also der politischen Herrschaft, die den ganzen Laden so regelt und erhält und stabilisiert und gegen Anfechtungen schützt, wie er ist, und als das, was er ist: eine mehrstufige Konkurrenzschlacht um Macht und Geld.

Das ist freilich ein anderes Thema. Eines, das über die Sache mit dem Klima deutlich hinausgeht. Um das man als aufrechter Klimaschützer aber auch nicht ganz herumkommt. Außer man lässt sich vereinnahmen, von den Profis dieser Konkurrenz, die sich für ihre Sache so gerne mit ein bisschen jugendlichem Idealismus schmücken.

P.S.

Mit eurem Protest am 24. Mai wollt ihr für die Beteiligung an den Europawahlen mobilisieren. Ihr wisst nämlich, dass in der Demokratie, in der ihr lebt, neben allen möglichen erlaubten und als solchen von der Politik für belanglos erklärten Formen der Meinungsäußerung – z. B. den Protesten, die ihr veranstaltet – genau eine Form wirklicher politischer Einmischung der mündigen Staatsbürger vorgesehen ist: die Wahl. Das veranlasst euch dazu, euer Anliegen, für das ihr mit euren Protesten und Demonstrationen bei der Politik nichts erreicht, zur eigentlichen „Bedeutung der Europawahl“ zu erklären. Und ihr erklärt es für eine sträfliche Vernachlässigung dieser Möglichkeit wirklichen Einflusses auf die Politik, wenn – wie beim letzten Mal – nur 43 % der Leute von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.

Nur: Stimmt es denn, dass die hohe Wahlbeteiligung, die ihr von denen verlangt, die im Unterschied zu vielen von euch immerhin wählen dürfen, auch zu einer Wende der europäischen Politik führen würde oder gar müsste? Ihr wisst doch: Wie immer bei einer Wahl, kann man auch am 26. Mai 2019 nur zwischen dem auswählen, was zur Wahl steht. Hat die Politik etwa etwas anderes als die personelle Neubestückung ihres Parlamentes angesetzt? Eine Klimawahl womöglich – Weltuntergang JA oder NEIN, bitte ankreuzen? Habt ihr überhaupt mitbekommen, was nach Auskunft der konkurrierenden Parteien und Politiker, die um die Stimmen ihrer Bürger werben, in dieser „Richtungs- und Schicksalswahl“ für die Zukunft Europas auf dem Programm steht? Soll man jetzt helfen, die „Antieuropäer und Populisten“ aus dem Parlament zu werfen? Um dafür ihre proeuropäischen Widersacher hineinzuhieven, die Europas Zukunft v. a. durch einen Mangel an europäischer Konkurrenzfähigkeit auf allen Feldern von der Genforschung bis zur Ausrüstung mit atomar getriebenen Flugzeugträgern gefährdet sehen? Und die seit Jahrzehnten genau die Umwelt- und Klimapolitik betreiben, gegen die sich Woche für Woche euer Protest richtet?!

Mit einer derart emphatischen und noch dazu gratis erfolgenden Wahlwerbung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen schmücken sich die konkurrierenden Politiker sicher gerne. Die selbst legen ja permanent sehr viel Wert darauf und ihren jungen und alten Bürgern nahe, die Machtfragen bezüglich der Zukunft ihres imperialistischen Staatenbündnisses mit den besten vorstellbaren Menschheitsanliegen, egal welchen, zu verwechseln.

Gegen diese Verwechslung, für die ihr von denen sicher wieder mit ganz viel Umarmungen und Glückwünschen bedacht werdet, setzen wir den kritischen Ratschlag, die politischen Interessen, die die europäischen Staaten mit- und gegeneinander verfolgen und die schönen Titel, mit denen sie diese Interessen euch und allen Bürgern bei der Wahl ans Herz legen, mal ein bisschen auseinanderzuhalten. Und außerdem, die vielen Abfuhren, die ihr bekommt und die praktische Irrelevanz eures Protestes als von oberster Stelle erteilte politische Zurückweisung ernst zu nehmen und nicht wieder nur als Mangel an ausreichend gutem Willen und Entschlossenheit der Politiker misszuverstehen, sich für eure, also auch ihre gute Sache einzusetzen. Lieber solltet ihr das als Anlass nehmen, euch zu fragen, worum es bei der Europapolitik tatsächlich geht.